Das größte Social Network feiert runden Geburtstag. Aber ist es nun 20 Jahre jung oder 20 Jahre alt? Eine Einordnung von In A Nutshell-Geschäftsführer Timm Rotter.
„Was ist das eigentlich, dieses ,Facebook’?“ Neulich saß ich beim Frühstücken mit zwei 14-Jährigen zusammen, das Gespräch kam auf Social Media, und ich konnte es zunächst kaum glauben: Aber die Frage war ernst gemeint.
Nun feiert Facebook 20. Geburtstag: Am 4. Februar 2004 starteten Mark Zuckerberg und vier Freunde an der Harvard University die Plattform, damals – die Anekdote dürften die meisten kennen – als Online-Version der offiziellen, gedruckten Jahrbücher. Aus „The Facebook“, wie es anfangs hieß, wurde das größte Netzwerk der Welt – das jedoch ist inzwischen ganz schön in die Jahre gekommen, zumindest hierzulande.
Ich hab dem 14-Jährigen dann erzählt, dass Facebook quasi die Mutter aller Social Media war. Dass früher mehr oder weniger alle Menschen unter 30 dort Fotos und Status-Updates teilten und guckten, was die Freunde grad so trieben. Dass dort die angesagten Marken waren, wir dort Online-Games spielten (RIP Farmville) und neue Trends mitbekam. Erinnert sich z. B. noch jemand an die „Ice Bucket Challenge“ aus 2014 – sie hätte es ohne Facebook nie gegeben.
Die Antwort war absehbar: dass er dafür doch WhatsApp und Snapchat habe … und ob ich statt Farmville einmal Minecraft spielen wolle?
Warum Facebook trotzdem für (manche) Marken noch relevant ist
Danke, muss nicht … Bei der Gelegenheit habe ich aber mal wieder Facebook aufgerufen, und das Erste, was mir auffiel: dass alle Posts und Storys von Freunden im Alter 40+ stammen – sorry, Daniel, Burkhard, Gunnar, Marc et al. 😉 Firmen, die die entsprechenden Zielgruppen ansprechen, sind daher weiterhin sehr gut beraten, Facebook als Kommunikations- und Marketingkanal zu nutzen – zumal die Plattform
- aufgrund der Masse an Nutzer:innendaten sehr präzises Targeting für Paid Content ermöglicht.
- im Vergleich zu Kanälen wie LinkedIn für Advertiser deutlich günstiger ist.
Allerdings gilt dies nicht mehr für alle Branchen: In manchen, etwas dem Gesundheitssektor, hat die Polarisierung des Themas im echten Leben auch auf Facebook die Sitten verrohen lassen. Daher sei hier, das hat mir gerade erst ein Kollege berichtet, jede professionelle Kommunikation müßig: Sie würde ohnehin unter Beschimpfungen und Verschwörungstheorien verdeckt. Andere Brands aus dem Consumer-Bereich tun sich leichter, weil ihre Themenwelten unkritischer sind – ob Reise (gerade für ältere Semester), Softdrinks oder Gadgets.
Der zweite Gedanke zur angeblichen Vergreisung: Meine Beobachtung ist eine sehr westliche Sichtweise: In vielen Schwellenländern ist Facebook die wichtigste digitale Plattform. Vergangenes Jahr im Urlaub auf Sri Lanka habe ich das erst wieder erlebt, wo unser Fahrer offenkundig sein ganzes Leben via Facebook gemanagt hat – was, wie er erzählt, auch alle seine Kollegen täten.
Denn dort hat eben nicht jedes Hostel oder jede Sehenswürdigkeit eine eigene Website – sogar manche Ämter und Behörden samt Telefonnummer und Öffnungszeiten findet man online nur auf Facebook, hat er uns gezeigt. Diese digitale Grundversorgung können weder Snapchat noch TikTok und nicht einmal Instagram abbilden. In anderen Ländern ist es sogar Usus, dass Handyshop-Betreiber ihren Kunden beim Verkauf eines Gerätes direkt Facebook installieren. Nicht jeder Mensch dort kann sich einen klassischen Telefonievertrag leisten – und braucht ihn dank Facebook Video-Calls auch gar nicht.
Wo Facebook schrumpft, und wo es wächst
Offizielle Zahlen belegen die Unterschiede: So hat die Zahl der Facebook-Nutzer:innen in Europa, die sich mindestens einmal im Monat einloggen, von Ende 2021 bis Ende 2023 um rund fünf Prozent auf 408 Millionen abgenommen. In den USA und Kanada das gleiche Bild. In Asien hingegen wächst Facebook weiterhin – in den vergangenen zwei Jahren um knapp sieben Prozent, sodass heute laut Statista etwa 1,4 Milliarden Menschen regelmäßig auf der Plattform aktiv sind.
In Summe ist Facebook alles anderes als tot, wie es zuletzt oft gesagt wurde – im Gegenteil: Die Plattform wächst weiter, wenn auch die jährlichen Zuwachsraten an aktiven User:innen inzwischen im unteren einstelligen Bereich sind, wie diese aktuelle Grafik zeigt:
Allerdings stimmt auch der zweite persönliche Eindruck mit den offiziellen Zahlen überein: In den Industrieländern verliert Facebook bei den jungen Generationen seit einigen Jahren an Bedeutung.
Über alle Altersgruppen hinweg nutzen 65 Prozent der Menschen in Deutschland die Plattform. Bei der GenZ, die zwischen 1995 und 2012 geboren ist, sind es nur noch 40 Prozent. Wenn es darum geht, wer selbst Beiträge postet oder teilt, sind es sogar weniger als 20 Prozent (Quelle: Bitkom). Wie sehr sich junge Menschen von Facebook abwenden, zeigt sich auch in anderen Industrieländern, wie die zweite Grafik zeigt. Gerade DACH-Raum gibt es ein sehr homogenes Bild – auch in Österreich und der Schweiz ist Facebook bei den jungen Menschen out.
Die Gründe sind schon mehrfach diskutiert worden: Zunächst ging für die User:innen die Exklusivität der Anfangszeit verloren, weil plötzlich auch Eltern und große Geschwister dort auftauchten. Mitte der 2010er-Jahre sorgten Skandale wie jener um Wahlbeeinflussung / Cambridge Analytica für eine schnell anschwellende und noch schnell wieder in sich zusammenfallende Protestwelle.
Es folgten die überhand nehmende Werbung im Feed und verrohende Sitten: Erst jetzt im Januar musste sich Zuckerberg im US-Kongress wieder einmal rechtfertigen – weil seine Plattform immer noch viel zu wenig unternehme, um Hatespeech und Pornografie zu unterbinden. Zudem schaffte es Facebook – typisch Platzhirsch – nicht, neue Social-Media-Trends, wie Selfies oder Kurzvideos, so schnell umzusetzen wie neue Wettbewerber.
Werden irgendwann auch die heute angesagten Social-Media-Plattformen vergreisen?
Weniger diskutiert ist hingegen die Frage: Ist das Facebook-Schicksal unvermeidbar? Heißt: Werden irgendwann auch die heute angesagten Plattformen vergreisen und damit für die – gerade aus Unternehmenssicht – wichtigen jungen Zielgruppen unattraktiv?
Die Antwort ist einfach: nein. Drei andere Plattformen zeigen dies:
- YouTube ist über die Jahre sogar deutlich jünger geworden. Was früher eher ein Videoarchiv und Bewegtbild für Musikclips und Heimwerkertipps war, ist heute die „Glotze der GenZ“. Er habe neulich einen krassen Werbeclip im Fernsehen gesehen, erzählte mir vor etwa einem halben Jahr ein Achtjähriger. Wortgewaltig schilderte er den actionreichen Spot, den ich doch auch gesehen haben müsse … Hatte ich nicht, und nach drei Schilderungen und unverständigem Kopfschütteln seinerseits sowie aufziehender Boomer-Depression bei mir, fragte ich halt: „In welchem Programm denn”? „YouTube natürlich.“ Natürlich? Ja, es ist natürlich – wie die 2023er-Zahlen von YouTube zeigen: Demnach nutzen 10 der etwa 11,5 Menschen im GenZ-Alter regelmäßig die Plattform – das ist mehr als in jeder anderen Altersgruppe.
Lineares TV hat für die jungen Zielgruppe hingegen kaum noch Bedeutung – gegenüber der Vor-Pandemie-Zeit hat sich die vor dem klassischen Fernsehen verbrachte Zeit fast halbiert, hat die neueste ARD-ZDF-Studie gezeigt. Und dies gilt sogar für alle Altersgruppen unter 29 Jahren. - Snapchat – die Fotoplattform ist älter als Instagram oder TikTok, und trotzdem sehr, sehr jung geblieben. Sicherlich liegt es daran, dass sie sich konsequent Unternehmens-Accounts verweigert, es die bei älteren Generationen gelernte textbasierte Kommunikation negiert und stattdessen sehr unkonventionelle Formate wie „Lenses” oder Fotofilter in den Vordergrund stellt.
- LinkedIn hat es ebenfalls geschafft, das Durchschnittsalter deutlich zu senken, wie der Vergleich der Alterskohorten von 2014 auf 2023 hier zeigt:
Vor 10 Jahren hätte uns sicherlich kein:e Universitätsprofessor:in angeschrieben, ob wir für ihre Kurse Vorträge zu Personal Branding via LinkedIn geben könnten – heute begleiten wir gleich drei Hochschulen bei eben diesen Themen.
Wo LinkedIn Facebook ersetzt hat
Das steigende Interesse an LinkedIn bei jüngeren Menschen hat mehrere Gründe
- weil junge Menschen heute früher als noch vor 15 Jahren ins Berufsleben wechseln
- weil LinkedIn Karrierechancen steigert – kaum ein Recruiter sucht nicht über die Plattform oder schaut sich zumindest die Lebensläufe dort vor dem ersten Kennenlernen an. Eine Studie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat, passend dazu, 2022 sogar gezeigt, dass Bewerber schlechtere Karten am Arbeitsmarkt haben, wenn sie nicht oder nicht professionell auf LinkedIn präsent sind.
- weil LinkedIn Funktionen übernimmt, die früher andere Netzwerke hatten: So hat es Twitter als wichtigsten Newschannel im Social Web abgelöst. Und es ist auch, um zum Anfang zurückzukommen, immer stärker zur Konkurrenz von Facebook geworden: Der reine Business-Fokus der Plattform ist längst passé: Menschen aller Generationen teilen dort Alltagserlebnisse und -gedanken, die sie umtreiben – und die vor 15 Jahren ganz selbstverständlich ihren Platz auf Facebook fanden.
Drei Gedanken als Fazit:
- Eine Vergreisung Sozialer Netzwerke ist keine zwingende Notwendigkeit. So etwas, wie einen Lebenszyklus der Netzwerke, die mit ihren Nutze:innen altern, gibt es nicht.
- Selbst wenn Netzwerke altern, macht sie das nicht zwingend unattraktiv für Unternehmen.
- Und: Wir blicken oft nur aus einer sehr regionalen Perspektive auf die Welt – und damit auch auf das Internet.
In diesem Sinne: Auf die nächsten 20 Jahre, Facebook – mit allen Sonnen- und Schattenseiten!
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