… LinkedIn genauso wenig. Und YouTube ist erst recht kein Social Media. Gedanken zur Zukunft der sozialen Medien von Geschäftsführer Timm Rotter.

Auf einer Digitalkonferenz in München ging es dieser Tage wieder darum, wie wichtig es doch sei, als Unternehmen auf Social Media „präsent“ zu sein. Der kluge Rat ist nicht neu, nur hat die Begründung mal wieder gewechselt: Vor zehn Jahren war immer vom modernen Image die Rede, das Facebook und Twitter verliehen. Dann kam – weil Image zu wenig messbar ist – das Vertriebsargument, aka #SocialSelling. Jetzt heißt es, man müsse aus Gründen des Employer Brandings „präsent“ sein.

Und genau das ist der Fehler vieler Marken: Sie sind auf verschiedenen Kanälen einfach nur präsent und glauben, damit hätten sie ihr Soll an Social Media erfüllt.

Instagram, LinkedIn & Co.: hübsch designte Interfaces aus Nullen und Einsen – mehr nicht

Dabei ist das Soziale in den sogenannten Sozialen Medien eine Frage der Haltung und hängt nicht an der Plattform: Alle diese Kanäle sind schlussendlich nur ansprechend designte Interfaces aus Nullen und Einsen und per se überhaupt nicht sozial.

Das allerdings haben viele Firmen immer noch nicht erkannt. Das merkt man 

  • am Wording: Da wird in der Morgenrunde diskutiert, wie man heute LinkedIn „bespielt“ – als sei es eine Theaterbühne, wo man ein Stück zum Besten geben möchte.    
  • an den Inhalten: wenn wieder mal auf dem B2C-Kanal Facebook die neueste Pressemitteilung verlinkt wird, weil sie die „offiziell freigegebene Kommunikation“ zum jeweiligen Thema darstellt. Mal aufs „echte“ Leben übertragen: Welcher Verkäufer beim Discounter oder welche Bankberaterin würde ihren Kund:innen eine Pressemitteilung aushändigen, um ihn zu informieren?
  • am immer noch verbreiteten Irrglauben, dass de facto zweitrangige Metriken über gut oder schlecht entscheiden: Follower-Zahlen sind Feigenblätter, die wenig bis nichts über das Interesse an den Geschichten sagen, mit denen das Unternehmen gerade seine Kanäle – Verzeihung – bespielt … Was zählt, ist die Engagement-Rate, sprich der Anteil der sozialen Interaktionen. Und selbst die sollte man nochmals sezieren, weil Likes oft auch nur noch im Vorbei-Swipen vergeben werden.
  • am meisten daran, dass das Verständnis von Social Media viel zu kurz greift und nach LinkedIn, den Meta-Plattformen, Twitter, TikTok und vielleicht noch YouTube aufhört. Wobei YouTube in erster Linie ohnehin eine Suchmaschine ist.

Jedes Medium ist Social Media

Unternehmen, die es mit guter Kommunikation ernst meinen, sollten verstehen, dass jede Form der Kommunikation Social Media ist – intern wie extern: 

Wenn der Energieversorger in einem Brief voller Phrasen seinen Kunden die Zinserhöhung mitteilt, fluchen die tags drauf beim Afterwork an der Bar oder beim Fußballtraining darüber (#Shitstorm). Wenn die Vorstandsvorsitzende via Teams den Ausblick auf die kommende Woche an alle Führungskräfte schickt, reden die anschließend in der Kaffeeküche darüber, loben (aka liken) die Gedanken oder sharen ihre Meinung dazu mit den Kolleg:innen. Und wenn der Chef im Jahresgespräch ungerechte Pauschalkritik formuliert, gibt’s anschließend die Quittung auf kununu oder in der Google-Bewertung. 

Lasst uns die Social-Media-Beauftragten abschaffen

Unternehmen, die es mit Social Media wirklich ernst meinen, sollten daher zunächst den Titel „Social-Media-Beauftragte:r“ abschaffen: Er suggeriert eine Sonderstellung der betreuten Kanäle und nimmt alle anderen Kommunikator:innen aus der Verantwortung, social zu denken. Einen Schritt weitergedacht: Jeder und jede Mitarbeiter:in im Unternehmen ist ein:e Social-Media-Beauftragte:r. 

Anschließend sollte man die eigene Kommunikationskultur hinterfragen: 

  1. Wissen wir, welche Zielgruppe(n) wir mit einem Thema erreichen wollen? 
  2. Und haben wir verstanden, dass wir diese Zielgruppen nur dann erreichen, wenn wir die Geschichten erzählen, die sie fachlich interessieren und emotional berühren? Statt mit den Themen „präsent“ zu sein, die dem Vertrieb gerade wichtig sind.
  3. Sind wir bereit, mit diesen Zielgruppen in einen echten Dialog zu gehen? Also – entsprechend ihrer Bedürfnisse und innerhalb der Möglichkeiten des jeweiligen Kanals – Offenheit zum Austausch zu zeigen, Resonanz einzufordern und dann auch zu interagieren. Nebenbei: „Einfordern“ heißt nicht, dass der CEO in sein internes Mailing zu den Quartalszahlen als letzten Satz ein „Ich freue mich auf Ihr Feedback!” reinredigiert bekommt. 
  4. Befeuern wir die Potenziale unserer Mitarbeitenden, sprich Corporate Ambassadors, ihre eigenen Erfolgsgeschichten zu erzählen, statt Content nur über die Corporate-Kanäle zu teilen?
  5. gilt nur für die digitalen Kanäle: Hören wir den Menschen draußen zu? Sprich, gibt es ein Social Listening, das das Netz ganzheitlich durchsucht? Eigentlich selbstverständlich – und doch begnügen sich erschreckend viele Kommunikator:innen immer noch damit, nur auf dem eigenen LinkedIn- und Insta-Channel Kommentare zu monitoren. Was dort nicht stattfindet, wird ignoriert 🙈🙉🙊
  6. Halten wir auch mal den Mund, wenn wir nichts Spannendes zu erzählen haben?

Organisationen, die wirklich zeitgemäße Kommunikation und Marketing machen, stellen sich diese Fragen jeden Tag. Beziehungsweise stellen wir ihnen als Agentur diese Fragen und diskutieren sie mit ihnen in Workshops. Denn nur wenn sie sechsmal im Geiste ja ankreuzen, wird ihre Außendarstellung dauerhaft erfolgreich und glaubwürdig sein. Weil sie wirklich Social Media leben. Unabhängig vom Kanal.    

Foto von Timm mit weißem Rand

 

Timm Rotter
… hat die Agentur 2010 gegründet, als Facebook noch total en vogue war. Heute nutzt er privat nur noch LinkedIn und Instagram – und findet beides manchmal ganz schön un-sozial. Das liegt vor allem an der falschen Einstellung vieler Firmen und User:innen, die Content Marketing mit Werbung oder (#Unsitte2022!) Selbstdarstellung verwechseln. Daher ist Timm, wenn möglich, in der Freizeit am liebsten offline – dicke Likes gibt’s fürs Bergwandern, Joggen und Gärtnern.